„You’re tearing me apart!“ schreit der von James Dean gespielte Teenager Jimmy Stark in der Eingangsszene von Rebel Without a Cause (dt. „..denn sie wissen nicht, was sie tun“, uraufgeführt 1955) seine Eltern und seine Großmutter an. Er ist verzweifelt angesichts der Tatsache, dass die Erwachsenen sich kaum um ihn kümmern, als sie ihn in seinem volltrunkenen Zustand nachts auf einer Polizeistation abholen müssen, sondern untereinander in einen Disput darüber geraten (und Jimmy schreit in eben dem Moment auf, als sich auch noch die Großmutter, die Mutter des Vaters, einschaltet).
Ich habe den Film vor Kurzem wieder gesehen, weil ich ihn einer Schulklasse vorgespielt hatte – wir hatten im Unterricht über das Verhältnis der Generationen gesprochen, und dazu passte er. Außerdem hatten die Schüler mich dadurch provoziert, dass fast alle von ihnen sagten, sie würden James Dean nicht kennen – und das kann eine verantwortungsvolle Lehrkraft so natürlich nicht stehen lassen. Obwohl heute einiges in dem Film natürlich altertümlich wirkt – ein vergleichsweise langsames Erzähltempo oder die Tatsache, dass Jugendliche als Ausweis ihres Rebellentums Swing-Musik hören – hatten die Schülerinnen und Schüler der Gruppe das Gefühl, dass vieles in dem Film noch aktuell ist. Und auch ich war überrascht davon, wie viele heute aktuelle Themen in diesem Film durchgespielt werden. Das betrifft insbesondere die Art und Weise, wie Männer hier dargestellt sind – und die zentrale Bedeutung der Väterfiguren. Der Film ist ein gutes Beispiel dafür, dass „Männlichkeit“ keineswegs erst durch feministische Fragen und Infragestellungen zum Thema und variantenreich durchgespielt wurde.
Auch für Plato endet die Geschichte tödlich, er wird am Ende von der Polizei erschossen, nachdem er vorher selbst auf mehrere Menschen geschossen hatte. Martialische, maßlose Versionen von Männlichkeit, die tödlich enden, verknüpft der Film plausibel mit dem Fehlen von Vätern. Zugleich aber werden auch ganz andere Männlichkeitsvorstellungen durchgespielt.
Varianten von Männlichkeit Direkt vor Platos Tod treffen sich Jimmy, Judy und Plato in einem verlassenen Haus und agieren in den Strukturen der Kleinfamilie, die sie sich offenbar alle wünschen – mit Jimmy als Vater, Judy als Mutter und Plato als Sohn. Diese konventionelle Struktur, die hier schließlich eben nicht tragfähig ist, wird noch durch weitere Variationen von Männlichkeit ergänzt. Jimmy weint am Ende, nach Platos Tod, heftig, ist aber zugleich – ganz anders als die realen Väter des Films – ein verantwortungsvoller Mann, der zuvor Platos Pistole die Patronen entfernt hatte (so dass dessen Tod völlig unnötig war) und der dann dem toten Plato wie ein Vater seine eigene, Jimmys, Jacke schließt, die dieser trägt – weil er doch immer frieren würde. Faszinierend an diesem Männlichkeitsbild ist wohl, dass es trotz seiner Widersprüchlichkeit – Jimmy lässt sich tränenüberströmt von Judy trösten und ist zugleich auch stark und fürsorglich – stimmig wirkt. In Deans nervösem, eine beständige Spannung ausdrückendem Spiel wirken die Widersprüche plausibel vereint.
Insbesondere aber die Beziehung zwischen Jimmy und Plato ist ungewöhnlich, weil sie deutlich homoerotisch geprägt ist (und zwar nicht nur, wie noch 50 Jahre nach der Uraufführung der Kommentator des Guardian etwas verschämt feststellt, als „schwuler Subtext“ ). Nicht nur Platos offenkundige Verliebtheit in Jimmy öffnet dabei ganz selbstverständlich Spielräume männlichen Verhaltens auf der Kinoleinwand, sondern mehr noch die Reaktion des heterosexuellen Jimmy darauf – er ist nicht abgestoßen, verschämt, gar aggressiv, sondern verantwortungsvoll und zugewandt.
Der Film führt also in einem großen Variantenreichtum Modelle von Männlichkeit vor und verknüpft sie mit der Bedeutung von Väterlichkeit. Eine positive Entwicklungsperspektive zeigt sich dabei erst am Ende, als es schon zu spät ist – dort übernimmt Jimmys Vater ebenso Verantwortung für seinen Sohn, wie zuvor Jimmy Verantwortung für Plato übernommen hat (bis hin in das Detail, dass Jimmys Vater ihm – dessen Jacke ja der tote Plato trägt – seine Jacke umhängt, damit er nicht friert). Während das Fehlen der Väter Männlichkeit auf katastrophale Weise verhärtet, schafft hier die Anwesenheit des Vaters Entwicklungsräume. Das ist plausibel – denn auch wenn der Film kein Plädoyer für ein konventionelles Männerbild hält, so ist die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit bestehenden Variationen von Männlichkeit, also die Präsenz der Väter, eben doch die Voraussetzung dafür, an diesen Variationen etwas ändern zu können. Das ist eine These, die durchaus auch heute von Bedeutung ist: Die Verdammung von Männlichkeit, oder ihr Verschwinden, eröffnet keine neuen Möglichkeiten, sondern versperrt sie.
Wer ist hier eigentlich restaurativ? Natürlich beweist das nichts – Rebel Without a Cause ist ein Film, keine wissenschaftliche Studie. Klar wird allerdings, dass schon in den fünfziger Jahren Männlichkeit und Väterlichkeit in verschiedenen Variationen in Frage gestellt und durchgespielt wurden – und zwar auf eine enorm erfolgreiche, also die Erfahrungen vieler Menschen ansprechende Weise. Es ist plausibel, dass dies ausgerechnet in einer Zeit geschieht, die im Rückblick oft als restaurativ und spießig erscheint – aus der Erfahrung des Krieges konnten Männer (noch mehr als Frauen) natürlich Skepsis gegenüber traditionellen, mit dem Soldatischen verknüpften Männerbildern entwickeln. Eben angesichts der Kriegserfahrung, aber auch angesichts der ökonomischen und familiären Bedingungen der Fünfziger Jahre war die Vaterabwesenheit zudem vielen präsent.
Und so spielt eben nicht nur Rebel Without a Cause Männlichkeit in der amerikanischen Populärkultur dieser Zeit auf neue Weise durch. Montgomery Clift agiert mit noch größerer Zartheit als Dean, und selbst so ein viriler Schauspieler wie Marlon Brando unterscheidet sich deutlich von einer ungebrochenen Männlichkeit, wie sie etwa John Wayne noch häufig verkörperte. Elvis Presley mag heute bieder wirken, für seine Zeit war es aufregend, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich als Mann und Sexobjekt inszenierte. Little Richard experimentierte mit Feminisierungen und Travestie-Elementen. Buddy Holly wirkte wie ein Buchhalter und machte eine Musik, die noch lange Wirkung hatte und beispielsweise Jahre später die Beatles und die Rolling Stones beeinflusste.
Die Liste ließe sich natürlich fortsetzen – deutlich aber wird auch so schon, dass Männer schon früh selbst nach neuen Variationen von Männlichkeit suchten. Die Vorstellung, erst durch das feministische Infragestellen wären Männer überhaupt auf die Idee gekommen, über sich als Männer nachzudenken, ist klischeehaft und eitel. Eher ist das Gegenteil der Fall: Schon allein im Vergleich mit einem einzigen populären Film der fünfziger Jahre, mit Rebel Without a Cause, wirken spätere Beschreibungen von Männlichkeit, die mit sprachlichen Mustern wie dem der „hegemonialen Männlichkeit“ oder der „patriarchalen Dividende“ aufwarten, holzschnittartig und eindimensional, regelrecht restaurativ. Vielleicht ist das, nebenbei bemerkt, auch ein Grund, warum manche Männer zu Feministen werden: Der Feminismus ist, nur scheinbar paradox, der einzige Bereich, in dem sich Männer noch ungebrochen als mächtige, hegemoniale Wesen beschreiben können.
Es lohnt sich aber möglicherweise, ab und zu zurückzuschauen und darauf zu achten, wie viel durch diese restaurativen, starren Beschreibungen von Männlichkeit verschüttet worden ist.
gut geschrieben
danke dir
Du hast unglaublich viel von dem eingefangen, was dieser Film in mir ausgelöst hat. Damals, nachdem mein Vater gerade gegangen war.
Und in den Jahren danach.
Danke.
Und ich danke für die Kommentare!
[…] Weltkrieg ambivalent – und eines der eindrücklichsten Beispiele dafür ist der James Dean-Film …denn sie wissen nicht, was sie tun (Rebel Without a Cause). Einerseits sind die Männlichkeitsmodelle, für die Väter stehen, offenkundig nicht mehr haltbar […]
[…] vor mehr als einem halben Jahrhundert hat sich mit dem James-Dean-Film „Rebel Without a Cause“ (…denn sie wissen nicht, was sie tun) ein ungeheuer erfolgreicher Beitrag der Pop-Kultur mit der Bedeutung von Vaterfiguren beschäftigt. […]