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Friedfertigkeit und Weiblichkeit, ein wenig versteinert |
Warum Männer aggressiv, Frauen friedfertig und irgendwie trotzdem alle gleich sind
„Das, glaube ich, habe ich auch in meinem Buch sehr genau dargestellt, dass ich in keiner Weise der Meinung bin, dass Frauen friedfertiger als Männer sind, von der Grundausstattung her und von den Grundmöglichkeiten her.“
So Mitscherlich 1986 in einem Interview zu ihrem Buch. Über Frauen sagt sie dann weiter:
„Sie unterstützen dann die Kriege, die immer auf Gewalt plus Paranoia beruhen, oder die Verfolgung von Minderheiten, die immer auf Gewalt plus Paranoia beruhen, etc., sie unterstützen solche Haltungen der Männer. Aber sie sind ihnen aufgrund ihrer Erziehung und der nach innen gewendeten Aggression nicht so auf den Leib geschrieben wie sie den Männern auf den Leib geschrieben ist.“
Diese widersprüchliche Haltung durchzieht die gesamte Schrift. Einerseits lehnt Mitscherlich es ausdrücklich ab,
„dem Bild des aggressiven, unfriedfertigen Mannes ein Bild der nicht-aggressiven, friedfertigen Frau entgegenzusetzen“ (S. 181).
Andererseits stellt sie in ihrem Text Männer und Frauen wieder und wieder in eben dieser Weise gegenüber. Im Vorwort beginnt ihr Buch mit dem Satz
„In uns allen bekannten geschichtlichen Zeiten sind Kriege von Männern geführt worden.“ (VII)
– und es endet im Nachwort, kurz vor Schluss, mit dem dringlichen Hinweis, es liege an „der Frau“,
„die von den Männern ‚gepachteten‘ Positionen zu erringen, um ihre ‚friedfertige‘, vernünftigere und objektbezogenere Einstellung (…) stärker zur Geltung zu bringen.“ (183)
Mitscherlich umgeht den Widerspruch, indem sie seine beiden Seiten auf zwei verschiedene Ebenen verlagert: Angesichts der „von Männern beherrschten Gesellschaft“ (156) und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Prägung beider Geschlechter seien Männer sehr wohl nach außen deutlich aggressiver als Frauen, Frauen hingegen beziehungsorientierter und friedfertiger. In einer idealeren Welt aber, so scheint es bei ihr, würden diese Unterschiede verschwinden, weil sie nicht essentiell seien.
Damit aber schöpft die Autorin Vorteile traditioneller bürgerlicher Geschlechterklischees ab, bucht ihre Nachteile jedoch auf das Konto sozialer Prägungen in einer männerdominierten Gesellschaft. Die Wiener Politikwissenschaftlerin Ljiljana Radonic kommentiert:
„Mitscherlich scheint sich (…) von ihrem Wunsch hinreißen zu lassen, ‚die Frau‘ einerseits als Verführte, Schwache, andererseits als Hoffnung spendende, bessere moralische Instanz hinstellen zu wollen.“
In der realen Welt sind Frauen so weitgehend unschuldig, weil sie sich schlimmstenfalls unselbständig an den Taten der Männer beteiligen – zugleich aber dienen sie auch als Personifikationen der Hoffnung auf eine bessere Welt.
Moralische Werte werden daher in Mitscherlichs Augen von Jungen aus Angst vor körperlicher Strafe, also aus Angst um sich selbst verinnerlicht, von Mädchen jedoch aus Angst vor dem Verlust der Liebe anderer.
Die Frage, inwieweit diese psychoanalytische Deutung eigentlich schlüssig ist, war für den großen Erfolg der Schrift wohl weitgehend gleichgültig. Entscheidend für ihren enormen Einfluss aber waren gewiss die Schlussfolgerungen, die sich aus der Unterscheidung der männlichen und weiblichen Moralentwicklung ergeben.
„Kastrationsangst, die sich auf die eigene Position und deren Zerstörung bezieht, ist (…) als narzißtisch zu bezeichnen. Bei der Angst vor Liebesverlust hingegen bleibt die Beziehung zu den mitmenschlichen Objekten von größter Bedeutung.“ (157)
Kurz: Während Männer gerade in ihrer Moralität im Kern selbstbezogen und narzisstisch seien, seien Frauen objektbezogen und liebesorientiert.
Das hat für Mitscherlich Konsequenzen: Männer wehren sich in ihren Augen
„gegen ihre angsterregenden, verinnerlichten Aggressionen vor allem dadurch, daß sie sie auf andere projizieren, das heißt, sie schaffen sich Sündenböcke und Rivalen, auf die sie dann ihre Aggressionen und Vergeltungsphantasien schuld- und angstfrei verschieben können, um sie, wenn möglich, ausleben zu können.“ (16)
Der Aspekt ist zentral: Der Mann konstruiert sich bei Mitscherlich Feinde, denen er die eigenen gewalttätigen Impulse in die Schuhe schiebt und an denen er daher diese Aggressionen zugleich ohne Bedenken ausagieren kann.
Der Frau hingegen sollte ihre größere Objektbezogenheit es
„eher ermöglichen, ein weniger rigides, weniger gefühlsabwehrendes Überich aufzubauen und eine Moral zu entwickeln, die liebevoller, beweglicher und humaner ist als die des Mannes.“ (158)
Erstaunlicherweise bemerkt Mitscherlich, die wieder und wieder auf die große Bedeutung der Projektion und der „Einteilung von Menschen in gut und böse“ (4) für den kriegerischen Aufbau von Feindbildern aufmerksam macht, an keiner Stelle, wie sehr dieses Schwarz-Weiß-Modell männlicher und weiblicher Moral seinerseits beliebige Projektionen auf Männer gestattet.
Irrwitzig wird die Gegenüberstellung dann im Rückblick auf den Nationalsozialismus.
„Die Mutter – während der Abwesenheit des Vaters im Kriege oder als Witwe selbst Familienoberhaupt – hatte über viele Jahre allein die Verantwortung für ihre Kinder zu tragen und war nach dem Kriege häufig nicht mehr bereit, sich dem zurückkehrenden, entmutigten Vater unterzuordnen oder ihm den Platz des verwöhnten Kindes in der Familie wieder einzuräumen. Sie hatte meist gelernt, sich gesellschaftlich zu behaupten, und wollte nicht in die Rolle der ausschließlich in der Familie aufgehenden Frau zurückgedrängt werden.“ (77)
In den fünfziger Jahren aber, so Mitscherlich, hätte sich dies durch eine „Welle konservativer und regressiver Konsolidierung der Familien- und Geschlechterverhältnisse“ (6) wieder geändert. Für die Folgegeneration junger Frauen nimmt die Autorin gleichwohl „eine Sehnsucht nach der selbstständigen und bestimmenden Mutter der frühen Kindheitsjahre“ (7) an.
Die Frauen im nationalsozialistischen Deutschland erscheinen dann tatsächlich als Vorbilder, an denen sich die Frauenbewegung der achtziger Jahre orientieren kann.
Möglich wird diese Position durch eine gewagte, aber konsequente Umdeutung der Schuld von Frauen im Nationalsozialismus – insbesondere der Schuld von Frauen an den antisemitischen Massenmorden. Frauen schließlich würden weit weniger als Männer auf Projektionen ihrer Aggressionen angewiesen sein.
„Ihre Überich-Strukturen prädestinieren die Frau nicht zum Antisemitismus. Ihre Abhängigkeit von der Anerkennung ihrer Umwelt, von den herrschenden männlichen Wertorientierungen, können sie allerdings dazu veranlassen, gängige Vorurteile zu übernehmen.“ (159)
Das bedeutet nicht allein, dass Frauen schlimmstenfalls als Mit-Täterinnen, als Beteiligte an eigentlich männlicher Gewalt schuldig geworden seien. Es bedeutet auch, dass für Mitscherlich selbst der massenmörderische Antisemitismus der Nationalsozialisten, soweit es denn nur der Antisemitismus von Frauen ist, einen humanen, mitmenschlichen Kern hat: den Wunsch nach Liebe und das Bemühen um die Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen.
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Der Glaube an „geringer ausgeprägte antisemitische Haltungen“ von Frauen wurde, so auch Feddersen im Spiegel, „längst als Mär enthüllt“. Die „These von der friedfertigen Frau, die bloß für Aufseherinnendienste instrumentalisiert wurde“, sei – so Radonic – längst widerlegt. Nicht nur deshalb aber ist es aus heutiger Sicht kaum verständlich, wie unkritisch Mitscherlichs Text aufgenommen wurde und wie selbstverständlich die Autorin auch heute noch, wie von Feddersen, als „Sprecherin eines deutschen Gewissens“ oder als „eine der wichtigsten Inspiratorinnen nicht allein der Frauenbewegung“ (taz) wahrgenommen wird.
„Das war wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet.“
„In allen uns bekannten Kriegen hatten Frauen eine dienende oder unterhaltende Funktion.“ (VII)
„sterben deutsche Soldaten, und das sind Söhne deutscher Mütter. Das ist unser Blut.“
„Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte (…).“
Literatur, soweit nicht verlinkt:Margarete Mitscherlich: Die friedfertige Frau. Eine psychoanalytische Untersuchung zur Aggression der Geschlechter, Frankfurt am Main 1985 (Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe.)
Einen wesentlichen, geschlechterpolitisch ebenfalls hochinteressanten Aspekt von Mitscherlichs Schrift habe ich in meinem Text kaum berücksichtigt, weil er sonst völlig ausgeufert wäre: Die Bedeutung von Müttern und Vätern und ihre ganz unterschiedliche Darstellung durch die Autorin. Darauf werde ich in einem späteren Text zurückkommen.
Mitscherlichs Ausführungen sind nur insoweit verständlich, solange man Psychoanalyse als religiös indentiert begreift. Jedenfalls gleicht ihr Frauenbild dem christlichen Marienbild. Zudem sind ihre Thesen, wie Sie schon selbst feststellten, nicht gerade schlüssig. Auch das haben Religion und Psychoanalyse gemeinsam. Es geht ihnen nicht um Schlüssigkeit, sondern um die stabile Logik der Fabulation in sich. Da jedenfalls stimmt der Zirkelschluss, sonst wäre das Buch auch nicht so erfolgreich rezipiert worden.
Im Grunde prolongierte Mitscherlich mit ihren Ideen das romantische Menschenbild in die nachkriegsdeutsche Gegenwart. Womit sie die Entstehungslüge der Bundesrepublik psychoanalytisch unterfütterte. So konnte man sich mit ihren Thesen über so manches kalte erinnerte Grauen hinweg wärmen.
(Kommentar Teil 1)
Sehr schöner Text, ausgezeichnet analysiert! In Mitscherlichs Buch kommt exemplarisch die systematische Begrenzung psychologischer Erklärungsmodelle zum Tragen. Ich möchte vermuten, dass Texte wie dieser mindestens soviel zum Entstehen einer misandrischen Kultur beigetragen haben wie alle explizit feministischen Texte zusammengenommen. Das ist genau die Literatur, deren Aussagen auch meine Eltern (erste Nachkriegsgeneration) zugestimmt haben, obwohl meine (aufgrund biografischer Erfahrungen durchaus misandrische) Mutter für Alice Schwarzer und den Feminismus eigentlich nur Verachtung übrig hatte (wohl weil sie die These von der umfassenden Unterdrückung der Frau als eine Art persönliche Beleidigung aufgefasst hat).
Aussagen wie »In uns allen bekannten geschichtlichen Zeiten sind Kriege von Männern geführt worden« sind so allgemein verbreitet, weil sie oberflächlich wahr sind, aber der Versuch ihrer psychoanalytischen Begründung erweist sich als Vulgäranthropologie: ebenso wie eine reduktionistische Soziobiologie scheitert eine psychoanalytische Dispositionenlehre an der Unfähigkeit, historisch wechselnde soziale Rollen und situative Kontexte sowie ein historisch zunehmendes Reflexionsvermögen zu berücksichtigen.
Aber weil die psychoanalytischen Erklärungen an tangiblen Objekten ansetzen, nämlich an Individuen und ihren Emotionen, sind ihre Vereinfachungen den Abstraktionen der Soziologie im Alltagsdiskurs überlegen.
Dabei sind solche Dispositionslehren im Grundsatz nicht unzulässig: wer immer nach der anthropologischen Ausstattung des Menschen fragt, kommt an solchen Modellen nicht vorbei. Unzulässig ist es aber, eine einseitige Moralisierung daraus abzuleiten: wenn man davon ausgeht, dass solche Dispositionen eine ursprüngliche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung begründen, dann muss man auch davon ausgehen, dass diese Arbeitsteilung einen evolutionär begründeten Ursprung hatte (hallo Christian 🙂 ).
Hier erweist sich die psychoanalytische Geschichtsklitterung als mit der feministischen identisch: Kulturgeschichte wird auf die zweistellige Relation zwischen Männern und Frauen reduziert, wobei die (nicht ausschließlich, aber überwiegend) über Männer vermittelte Relation der Gesellschaft zu ihrer Umwelt, also insbesondere der männliche Beitrag zum *Überleben* der Gesellschaft, außerhalb des Blickfelds bleibt. Genau das ist ja beispielsweise Roy Baumeisters Ansatz: cultures *flourish* by exploiting men!
(Kommentar Teil 2)
Und hier stoßen wir auf eine fundamentale Aporie des Feminismus: in dem historischen Augenblick, in dem es – mit guten Gründen – zur *Ächtung des Krieges* kommt, weigert sich der Feminismus, Frauen in eine Stellung der *Mit*verantwortung einrücken zu lassen, die von derselben reflexiven Denkbewegung auf die *Funktion des Krieges* erfordert wäre, mit der seine Legitimität dekonstruiert wird. Die Denunzierung und Dämonisierung des Mannes ist ein Reflex der Schuldabwehr nicht nur im Hinblick auf den Nationalsozialismus, sondern im Hinblick auf die Menschheitsgeschichte insgesamt (und darin auch nicht auf den deutschen Spezialfall begrenzt). Das ist die Tiefenstruktur hinter dem feministischen Versuch, Geschichte als »universelles Patriarchat« zu beschreiben.
Mit dem Feminismus erwacht die Menschheit zum Bewusstsein der historischen *Bedingtheit* des größten Teils der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Und zugleich wird sie von demselben Feminismus in die Amnesie gestürzt, der Wurzel dieser Arbeitsteilung läge nichts anderes als eine aus männlichen Minderwertigkeitskomplexen entstandene Selbstüberhebung zugrunde.
Und zwar, wie mir scheint, aus einer fundamentalen Angst vor der eigenen Verantwortlichkeit heraus. Indem Frauen den historischen Käfig des »Patriarchats« verlassen, machen auch sie die moderne, nietzscheanische Erfahrung eines Blicks in den Abgrund der radikalen Selbstverantwortlichkeit des Menschen, eine Erfahrung, in der mit dem Tod Gottes auch der »Horizont« weggewischt wird. Und diese Erfahrung ist für viele Frauen offenbar erschreckend genug, um sich erneut in den nunmehr imaginären Käfig eines nunmehr imaginierten »Patriarchats« zurückzuziehen – den Mann dabei umso mehr als Feindbild aufbauend, je unausweichlicher die Stunde der Selbstverantwortung näherrückt.
@ Matthias Mala Erlösungshoffnungen mit Weiblichkeit zu verknüpfen, ist dabei ja eben kein zukunftsweisendes Konzept – wäre es auch nicht, wenn man verkünden würde, dass die Zukunft „männlich“ ist.
Mitscherlichs Text lebt wohl auch davon, dass die Zukunft bei ihr ganz von Konzepten bestimmt ist, die wir doch eigentlich alle schon längst kennen, die nur als weitgehend ohnmächtig dargestellt werden. Die Zukunft ist kein Entwurf des Neuen, sondern die Begegnung mit dem Immer-schon-Bekannten, das nur unter der Männerherrschaft verschüttet ist.
Auch das ist für mich ein Zirkelschluss, der eigentlich tief reaktionär ist. Um zu verstehen, was die Zukunft bringt, brauchen wir nur das anzuschauen, was immer schon da war.
@ djadmoros „Die Denunzierung und Dämonisierung des Mannes ist ein Reflex der Schuldabwehr nicht nur im Hinblick auf den Nationalsozialismus, sondern im Hinblick auf die Menschheitsgeschichte insgesamt (und darin auch nicht auf den deutschen Spezialfall begrenzt).“ Ja, das sehe ich auch so.
Es ist ja Kucklicks zentrale These, dass die massive Überforderung angesichts der Entwicklungen in der Moderne auf das Konto einer als destruktiv beschriebenen Männlichkeit gebucht wurde und dass dabei, in der Idealisierung des Weiblichen, die Illusion einer vertrauten, heilen, übersichtlichen Welt bewahrt bleiben konnte.
Wenn heute vom „Patrairchat“ geredet wird, liegt dem in meinen Augen dasselbe Motiv zu Grunde: Es ist eine massive Überforderung, unendlich ausdifferenzierte, unpersönlich gewordene Herrschaftsstrukturen wahrzunehmen, für die kaum jemand schlüssig persönlich verantwortlich gemacht werden kann.
Es ist wesentlich einfacher, Herrschaft auf eine Weise zu beschreiben, die eigentlich an die Perspektive des Kindes auf Mama und Papa anknüpft. Es ist eine immer pesönliche Herrschaft, die beständig in die Verantwortung bestimmter Personen delegiert werden kann und die auf binäre Mann-Frau-Muster zurückgreift, die vom Beginn des Lebens an vertraut sind.
Die massiven, nicht mehr verzichtbaren Vorteile der modernen Entwicklungen geraten dabei natürlich ebenso aus dem Blick wie die Nachteile der insgeheim idealisierten vormodernen Bedingungen.
In der Auseinandersetzung – bzw.: in der Simulation der Auseinandersetzung – mit dem Holocaust spitzt sich das auch deswegen zu, weil hier technische Möglichkeiten der Moderne genutzt wurden, ohne von den ethischen, politischen, rechtlichen Leistungen der Moderne angeleitet oder eingehegt zu werden (etwa von der Idee der allgemeinen Menschenrechte). Insofern eignet er sich als Zerr- und Sinnbild, die Moderne insgesamt zu verdammen.
Die positiven Leistungen der damit identifizierten Männlichkeit werden dabei von Mitscherlich und ihren Epigonen ebenso wenig anerkannt wie die positiven Leistungen der Moderne.
Ich glaube auch, dass dem eine Angst vor der eigenen Verantwortung zu Grunde liegt, aber auch eine Angst vor der Größe der eigenen Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten werden blindlings als destruktiv denunziert – so wie es zu der Zeit, als Mitscherlichs Buch erschien, ja durchaus en vogue war, von einem „atomaren Holocaust“ zu reden und sich damit schlankweg in die Position der ermordeten Juden hinein zu imaginieren. Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, eigene Verantwortung zu leugnen.
@Lucas und @djadmoros
„Die feministische Idealisierung der Frau isoliert und glorifiziert Fähigkeiten und Sinne, die in praktischen Kontexten der Zwischenmenschlichkeit und Familiarität inhaltlich bestimmter zu fassen sind. Das aus der ›Entfremdung‹ heraus als ›unentfremdet‹ Erscheinende macht jenen Sinn der Teilhabe an den Veranstaltungen der Erwerbsarbeit und des Geschäftslebens aus, der allein subjektiv-imaginär über die ihr immanenten ›Sachzwänge‹ hinausweist. »Kraft der Ausklammerung einer a priori unbeschadet bleibenden Dimension (bleibt) die Herrschaft selbst unbeschadet. … Dieses Absolute indes wird durch die willkürliche Durchtrennung tausendfältiger Vermittlungen selbst erst erschlichen« (Böckelmann 1997/191, 213f.).
Zu jedem Eigentlichen gehört auch ein Uneigentliches. Die von vielen Feministen als außengerichtet und instrumentell vorgestellten Aktivitäten des Mannes vollenden sich erst in dem, worauf sie bezogen sind. Sie finden ihren Zweck nicht in sich, sondern im ›Schutz‹ der Frau, in der Versorgung der Familie usw. Vom Standpunkt der eigentlichen Werte des menschlichen Lebens, zu denen Feministen Frauen eine besondere Nähe reservieren, erscheint die »männliche« Befassung mit der Außenwelt als Mittel und Bedingung. Es liegt in dieser Konstellation für Männer nahe, dieses Standhalten in der Außenwelt zu heroisieren. Auch wenn sie die von den Frauen geleisteten Tätigkeiten als keine »richtige Arbeit« herabwürdigen, gewinnt die »männliche« Arbeit zugleich vielfach erst in ihrer Anerkennung durch die Frauen Motivation, Sinn und Gültigkeit. »Sicher: Es geht Männern auch um Egotrips, Gewinnsucht und Machtanhäufung, wenn sie nach den Sternen greifen wollen. Aber diese Sterne wollen sie doch den Frauen vom Himmel holen« (Stern 1991/122).
Viele Feministen erklären das Leben, die Fürsorge, die menschliche Aufmerksamkeit, Hege und Pflege für die eigentlich menschlichen Werte und reklamieren diese tendenziell für die Frauen. Frappierenderweise denken sie ihre Konstruktion nicht zu Ende. Ihr immanent beinhaltet doch eine »männliche« Herangehensweise in der moralischen Schönheitskonkurrenz nicht, frontal zu widersprechen. Vielmehr wäre ein anderer Gesichtspunkt geltend zu machen: Es stünden gerade jene in einem moralischeren Verhältnis zu den höheren = weiblichen Werten, die sich für die Bedingungen ihrer Existenz im heteronomen Reich der Außenwelt abrackern, obwohl sie als Männer diese Werte nicht zu verkörpern vermögen und an ihnen nur höchst mittelbar (eben über den Umweg der Frau) teilhaben können. Im Unterschied zum Hegelschen Knecht, dessen Emanzipation sich an Bildung durch Arbeit band, gesteht der hier vorgestellte feministische Verstand ›männlicher Arbeit‹ weder die von ihm für wesentlich erachtete Herzensbildung zu noch die angeblich in der Dienstleistungszukunft zentralen Qualifikationen Kommunikationsgeschick, ›emotionale Intelligenz‹, strategische Empathie usw. »Frauen tricksen besser« heißt es nicht nur in einem Ratgeber über »die etwas weiblichere Art, sich durchzusetzen« (Nöllke 2001).“
http://www.trend.infopartisan.net/trd1102/t041102.html
Lieben Gruß, crumar
Die Heroisierung einer Existenz, die von Werten, die ineins für eigentlich menschlich und weiblich erachtet werden, zugleich ausgeschlossen u n d auf sie ausgerichtet ist, spricht sich am deutlichsten in der einschlägigen Interpretation eines männlichen Verhältnis zum Krieg aus. »Wäre das Patriarchat nicht frauenorientiert, sondern tatsächlich frauenfeindlich, wie immer wieder von den Feministinnen unterstellt, wäre wohl niemals je ein Mann bereit gewesen, sich für die ›Lieben daheim‹ auf dem Schlachtfeld in Stücke hacken oder in Fetzen schießen zu lassen. Dann hätte es nie ein Mann auf sich genommen, für Frauen arbeiten zu gehen. Denn nur, wer wie die Männer das andere Leben, nämlich das der Frauen, höher einstuft, wird freiwillig diesem Leben zuarbeiten oder sein eigenes dafür opfern« (Stern 1991/127).
@ crumar Ich tauche gerade erst aus Abi-Korrekturen wieder auf, sonst hätte ich schon eher geantwortet. Ich finde die Unterscheidung zwischen dem „Eigentlichen“ und dem „Uneigentlichen“, mit der Du argumentierst, hier sehr wichtig. Sie kommt auch tatsächlich fast wortwörtlich bei Mitscherlich so vor – bei ihr ist die Beziehung des Kindes zur Muttter die einzige unentfremdete, gewissermaßen „reine“ Beziehung, die nicht nur von Nutzen-Erwägungen geprägt sei.
Nutzendenken wiederum steht ja prototypisch für das „Uneigentliche“ – etwas ist nicht in sich gut, sondern lediglich deshalb gut, weil es irgendeinem anderen Zweck nützt. Es wäre verkürzend (und das hast Du ja auch gar nicht getan), diese Aufteilung eigentlich-uneigentlich allein Feministinnen aufs Konto zu buchen. Vermutlich haben oft gerade Männer, besonders Männer in Verhältnissen der bürgerlichen Familie, diese Aufteilung gebraucht – ganz gleich, wie zehrend, stupide oder entfremdet ihre Tätigkeit auch war, sie hatte immer einen unlösbaren Sinn-Anker, war für etwas gut, das auch und gerade die unangenehmensten Arbeitsbedingungen ihnen nicht nehmen konnten.
Es war nämlich gut für die Versorgung von Frau und Kindern, gleichsam als Opfer des Mannes, der sich in die Entfremdung stürzt, um anderen die Möglichkeit eine unentfremdeten Existenz zu bewahren.
Das Problem am Feminismus ist nicht nur, dass er in vielen seiner Facetten dieses illusionäre Muster aufgegriffen und wiederholt hat, sondern dass er es noch dazu in ein endgültig absurdes Extrem treibt. Auch in dem Punkt stimm ich Dir völlig zu – nun wird der „uneigentlichen“ Tätigkeit der Männer nicht einmal mehr die Würde zugestanden, für das „Eigentliche“ zu sorgen, sondern sie wird schlangweg als Bedrohung dieses Eigentlichen definiert.
Dass es aber gar nicht möglich ist, fern von allen Nutzenerwägungen in einer zweckfreien Eigentlichkeit zu existieren (was immer das dann sein sollte) – ja, dass dieses „Eigentliche“ ohnehin nur eine Illusion ist, die es Menschen ermöglicht, in unübersichtliche, entfremdene Bedingungen so etwas wie „Sinn“ hinein zu projezieren – das kann dann ja leichthin ignoriert werden. Dass dieses „Eigentliche“ gar nicht sinnvoll vorstellbar ist, lässt sich nämlich unproblematisch als Nachweis dafür deuten, wie weitgehend die „patriarchale Herrschaft“ Weiblichkeit und Mütterlichkeit unterdrückt und marginalisiert hat.
Meine Vorliebe für Dewey hängt übrigens eben gerade mit solchen Aspekten zusammen. Er ist am „Eigentlichen“ gar nicht weiter interessiert, ebensowenig am Konzept eines „Ursprungs“, an dem man sich orientieren könne und zu dem man am besten zurückkehren solle. Bei Dewey ist das „Uneigentliche“ viel interessanter und würdevoller, nämlich die Auseinandersetzung mit der Welt, das Vergrößern von Horizonten, das Schaffen neuer Verknüpfungen. Nicht die Rückkehr zu dem, was irgendwie immer schon da war.
Lieben Gruß!
[…] ein Muster, das sich dann wenige Jahre später ebenso in Margarethe Mitscherlichs Mythos von der „friedfertigen Frau“ wiederfindet wie in Winfried Wiecks Beziehungsgesprächs-Blaupause „Männer lassen lieben“. […]
[…] sei, suggeriert zugleich die Vorstellung einer friedfertigen Weiblichkeit. Mit der Idee der „friedfertigen Frau“ war die Psychoanalytikerin Margarethe Mitscherlich in den Achtziger Jahren erfolgreich. Bei […]
[…] sei, suggeriert zugleich die Vorstellung einer friedfertigen Weiblichkeit. Mit der Idee der ‚friedfertigen Frau‘ war die Psychoanalytikerin Margarethe Mitscherlich in den Achtziger Jahren erfolgreich. Bei […]
[…] der Dreißiger Jahre und einem heutigen Feminismus war Margarete Mitscherlichs Text Die friedfertige Frau aus dem Jahr […]
[…] Ein Kapitel der Frauengeschichte, das der deutsche Feminismus bis heute ausblendet. Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich, ebenso eine Ikone des Feminismus wie die Verbrecherin Valery Solanas, exkulpierte die Nazifrauen mit ihrem Buch „Die friedfertige Frau“ als Opfer des Patriarchats. Lucas Schoppe verfasste hierzu einen Blogbeitrag (siehe hier). […]
[…] Auch auffällig, dass zum Ende des Films keine wirklich bösen Frauen übrigbleiben; dass böse Frauen zu guten mutieren, habe ich bereits öfter beobachtet, als Beispiel hierfür kann „Toystory 4“ (guter Film) angeführt werden. Das Mordopfer, eigentlich eine Hardcore-Identitäre, vögelte mit jemanden aus dem linken Lager; die andere ist eine Marionette, und kriegt das, was sie sagt, von einem Mann diktiert; und die rechte, angehende Bundesverfassungsrichterin entpuppt sich als eigentlich doch ganz sympathische Lesbe. Frauen können nicht aus sich selbst heraus der falschen Gesinnung anhängen, sie werden nur verführt. […]